42°C. Mist. Das ist überhaupt nicht gut. Seit zwei Tagen steigt meine Temperatur jetzt schon in einem rasanten Tempo aufwärts. Vorgestern bin ich noch lachend auf der Party von meinem Götti herumgeflitzt, jetzt liege ich nur noch stöhnend und mit abnormal hohem Fieber im Bett. So vergeht Stunde um Stunde. Als ich den Fiebermesser eine Weile später erneut in mein Ohr stecke, erscheint die Zahl 48 in einem roten Hintergrund. Ich wechsle das Ohr. 51°C. Nicht nur ich, sondern auch der Fiebermesser glüht jetzt. Mit einem spitzen Aufschrei werfe ich ihn so weit weg wie möglich. Fassungslos starre ich auf meine rauchenden Finger mit verbrannter Haut an den Spitzen. Dann auf den nun überall rotglühenden Fiebermesser. Er beginnt zu zittern. Dann zu dampfen. Und dann explodiert er.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem Boden, umgeben von einer Staubschicht. Nichts ausser ich und der Fiebermesser – in dessen Mitte jetzt ein ausgefranstes Loch prangt – hat die Explosion überstanden. Komischerweise stehen keine Nachbarn oder Polizisten da, die etwas gesehen oder gehört haben. Auch dass unser Haus nur noch aus Staubkörnern besteht, scheinen sie nicht zu bemerken. Ich schaue wieder auf den Fiebermesser. Eine leuchtend rote Aura umgibt ihn und eine magische Anziehungskraft geht von ihm aus. Langsam krieche ich auf ihn zu. Und dann steige ich in das Loch, welches jetzt plötzlich riesig ist.
Ich habe noch nie einen Fiebermesser von innen gesehen und ich sage euch, es sieht krass aus. Überall hat es Kabel, Knöpfe, kleine Anzeigen, Tastaturen und Lämpchen. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, als ich das riesige Display sehe, auf dem die Körpertemperatur angezeigt ist. Fasziniert schaue ich auf die Zahl, die dort drauf prangt: Eine schwarze 100 auf dunkelviolettem Grund! «Ist das meine Temperatur?», frage ich mehr zu mir selbst, dennoch bekomme ich Antwort. Und zwar von einem richtig gutaussehenden Typen mit Sonnenbrille und kurzen, schwarzen Haaren. «Ja», antwortet er einsilbig. Ich fahre zu ihm herum. «Wer bist du?», frage ich ihn. «Apollo.»
«Der griechische Gott?»
«Ja.» Jetzt bin ich ernsthaft erstaunt. «Das glaube ich dir nicht», schleudere ich ihm entgegen. Er seufzt.
«Dann glaubst du das alles auch nicht?» Er deutet auf die Umgebung. Ich zucke mit den Achseln. «Du hast recht.» Irgendwie nehme ich das alles viel zu gelassen! Was ist mit mir los? «Wieso verdampfe ich nicht bei dieser Körpertemperatur?», frage ich ihn. «Wegen mir. Weisst du, dass ich der Gott der Heilkunst bin?»
«Ja.»
«Gut. Nun, ich brauche Hilfe mit diesem Coronavirus. Und da habe ich mir gedacht, ich erschaffe mir einfach einen Gehilfen. Und wenn du es schaffst, diesen Fiebermesser zu reparieren, wirst du das sein.»
Wie bitte? Ich? Das sollte wohl ein Witz sein. «Fang an!», fordert Apollo mich auf. Zögernd bewege ich mich in Richtung eines Hebels, der auf «off» gestellt ist und schalte ihn um. Erst dann lese ich die Überschrift. Selbstreparatur. Das war ja einfach. «Gut gemacht!», lobt Apollo, «Ich möchte aber auch, dass der Fiebermesser anzeigt, an was man erkrankt ist.» Ich lasse mich von meiner Intuition leiten und drücke auf einen roten Knopf. Auf dem grossen Display erscheint ein Coronavirus-Symbol. «Die Lebenszeit!», fordert Apollo. Ich gebe eine Tastenkombination auf einer der Tastaturen ein und die Schrift «Lebenszeit: Abgelaufen» erscheint. «Was soll das?», frage ich Apollo erstaunt. «Dass du tot bist. Du bist nur wegen meiner Magie noch am Leben. Wenn du den Fiebermesser nicht reparieren kannst, stirbst du. Wenn schon, wirst du danach als Gott wiedergeboren. Gut, eigentlich hat meine Magie dich auch umgebracht, aber das ist jetzt nicht wichtig», bekomme ich als erschreckende Antwort.
«Du hast was?», rufe ich fassungslos. «Ich musste es tun, damit du diesen Test überhaupt machen kannst. Aber wie schon gesagt, das ist jetzt nicht wichtig», erwidert er genervt, «mach weiter!» In den nächsten Stunden gibt er mir weitere Funktionen an, die ich einbauen soll. Manche ergeben keinen Sinn, zum Beispiel was man für ein Tier wäre – ich wäre ein Gänserich – und andere sind eigentlich logisch, so wie der Standort des nächsten Krankenhauses. Stunde um Stunde arbeite ich mich durch den Fiebermesser, bis ich schliesslich ganz in der Spitze ankomme. Schwitzend und schnaufend begebe ich mich zu Apollo zurück. «Und jetzt?», frage ich ihn keuchend. So gelassen, als wäre es an seiner Tagesordnung, Leute umzubringen, erklärt er: «Jetzt löse ich den Zauber, der dich am Leben hält. Danach wirst du als Gott wiedergeboren.» Bevor ich etwas erwidern kann, schnippt er mit den Fingern und verschwindet. Ich bekomme das Fieber mit voller Wucht zu spüren. Eine Hitzewelle bricht über mich herein, zwingt mich in die Knie. Ich merke, wie langsam alle Flüssigkeit in mir verdampft. Und mit einem Mal bin ich nicht mehr ich, sondern Äskulap. Der Gott der Heilkunst, der am Ende über das Coronavirus siegen wird, ihr werdet sehen!