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Wenn Kinder nicht zuhören: zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus – warum Brüllen trotzdem keine Lösung ist und welche Wege es aus der uns oft so vertrauten Brüllfalle gibt, sagt uns Familienberaterin Maya Risch. Noch mehr dazu gibt es an ihrem Eltern-Online-Kurs «Wege aus der Brüllfalle» vom 31. Mai 2023. Dieser Blogbeitrag ist zuerst auf famlienleben.ch erschienen.

Ich habe eingekauft, mir Zeit genommen, etwas Leckeres zu kochen, habe den Tisch schön gedeckt und freue mich auf ein gemütliches Essen mit meiner Familie. Ich rufe aus der Küche in die Wohnung: «Kommt essen!» Keine Reaktion. Lauter: «Kommt Essen!» Keine Reaktion. Lauter und aufgebracht: «Jetzt kommt endlich essen! Immer muss ich euch tausendmal rufen! Könnt ihr nicht einmal zuhören, wenn ich etwas sage?»
Meine Vorfreude sinkt, ich werde wütend, weil ich mich nicht gehört fühle. Wer kennt solche Situation schon nicht?

Wenn die Schutzhülle als Filter agiert

Wenn wir unser Kind rufen, erreichen wir es manchmal nicht, weil es in seiner eigenen Welt ist, im Spiel, in einer Schutzhülle, und uns deshalb oft wirklich nicht hört. Das heisst, es hört uns physisch schon, diese Hülle filtert allerdings alles heraus, was ihm gerade nicht so wichtig ist.

Wenn das Kind Hunger hat und sich aufs Essen freut, wird es mich hören. So hört mein Sohn zum Beispiel immer, wenn ich von weit oder leise sage: «Willst du ein Eis?» Da er Eis liebt und natürlich gerne eins haben will, ist diese Frage für ihn wichtig. Rufe ich hingegen «aufräumen» oder «Zähne putzen», ist das zwar für mich wichtig, aber nicht für ihn. Es wird von der Schutzhülle weggefiltert.

Diese Hülle filtert alles, was für das Kind in dem Moment nicht wichtig ist, ohne Rücksicht darauf, wie wichtig dies für den Sprecher oder die Sprecherin ist. Das Kind entscheidet also nicht aktiv, uns nicht hören zu wollen. Eine anschauliche Erläuterung wie diese Schutzhülle funktioniert, bietet der Film «Wege aus der Brüllfalle».

Wie Sie die Schutzhülle durchbrechen

Was können wir also in so einem Moment tun, in denen das Kind uns nicht hört, wenn wir aus der Küche gut gelaunt «Essen kommen» rufen? Lauter und genervt zu werden, hilft jedenfalls selten.

Um das Kind zu erreichen, müssen wir unsere Arbeit kurz unterbrechen und zum Kind hingehen. Wir müssen es aufsuchen in seiner Welt und dort mit ihm Kontakt aufnehmen. Dann, wenn wir physisch ganz nah sind und vielleicht sogar mit einer Berührung Kontakt aufnehmen, spürt das Kind: «Aha, Mama/Papa ist da und will etwas sagen.»

Manchmal reicht es, das Kind anzusprechen mit: «Ich sehe, dass du spielst. Das ist ja ein neues Fahrzeug, das du gebaut hast.» Pause. Warten, bis das Kind reagiert, mich anschaut oder etwas sagt, und dann erst sagen: »Hör mal, ich bin bereit mit dem Essen und will, dass du in die Küche kommst.» Manchmal müssen wir einen Moment Geduld aufbringen, wenn wir mit dem Kind Kontakt aufnehmen wollen, wir müssen ihm Zeit lassen, «auf Empfang» zu schalten.

Auf Empfang: Kurze Botschaften, langsam übermittel

Früher hatte ich offenbar die Angewohnheit, meinem Sohn eine Anweisung sehr wortreich zu erteilen. Als ich das wieder einmal machte, indem ich sagte: «Komm bitte in die Küche, wasch dir die Hände und versorg vorher noch dein Spiel in den Schrank. Ach ja und ruf noch Papa, damit er auch kommt», sagte er mir: «Du redest viel zu viel auf einmal und viel zu schnell.» Das war ein lehrreicher Moment für mich. Seither gehe ich oft zu ihm hin, setze mich zu ihm, lege ihm manchmal die Hand auf die Schulter und warte, bis er von seinem Spiel aufschaut. Dann sage ich: »Kannst du bitte kurz zuhören?» oder «Ich will dir kurz etwas sagen.». Dann warte ich nochmals kurz, bis er mir mit seinen Augen oder verbal ein «Ja, ich bin auf Empfang» schickt und rede erst dann. Ich bemühe mich, dann nur ein bis zwei Sätze zu sagen und keinen Roman von mir zu geben.

Dieses Vorgehen hat die Beziehung zu meinem Sohn enorm entspannt und auch meinen Mann erreiche ich so besser. Manchmal sind Rückmeldungen meiner Kinder wirklich ein wertvoller Hinweis und lehren mich, etwas anders zu machen.

Klare Vereinbarungen helfen

Auch wenn sie uns gehört haben, tun Kinder deswegen noch lange nicht immer das, was wir ihnen sagen. Dann ist ein weiterer Schritt nötig. Nachdem wir uns vergewissert haben, dass das Kind uns gehört hat, müssen wir vereinbaren, wann es kommen oder etwas tun soll. Kinder – wie auch wir Erwachsenen – mögen keine Befehle, die verlangen, etwas sofort zu tun. Deshalb entspannt es die Situation oft, wenn wir dem Kind etwas Zeit geben: «Wir essen gleich, ich will, dass du kommst.»
«Ich will noch dieses Legoauto fertigbauen.»
«Ok, und danach kommst du?»
«Ja.»

Ich kann auch sagen: «Ich warte noch, bis die Sanduhr runtergelaufen ist (bzw. 5 Minuten), dann fangen wir an zu essen. Ich habe Hunger.» Kommt das Kind dann noch immer nicht, ist es manchmal nötig, nochmals hinzugehen, wieder Kontakt aufzunehmen und mit Nachdruck darauf zu bestehen, dass es jetzt kommt. «Das Legoauto ist fertig. Komm jetzt!» Was, wenn das Kind immer noch nicht kommt? Dann ist es nötig, uhig und beharrlich da zu bleiben und einzufordern, was ich jetzt will. «Jetzt essen wir. Komm!»

Bessere Beziehungen dank entspannter Kommunikation

An diesem Punkt passiert es vielen Eltern dann, dass sie die «Wenn du jetzt nicht, dann ….»-Drohung auspacken oder eine Strafe aussprechen. Das hilft zwar meistens, um unser aktuelles Ziel zu erreichen, schadet aber der Beziehung zum Kind.

Wenn wir bis hierher durchhalten, kommt das Kind meistens. «Und wenn nicht?», werden Sie fragen. Dann drücke ich auch mal meinen Unmut lautstark aus: «Jetzt werde ich wirklich ungeduldig. Ich habe gekocht und will jetzt endlich essen. Ich mag nicht mehr warten und will, dass du auch kommst, und zwar jetzt!»

Übrigens sind auch wir Erwachsenen nicht immer auf Empfang und hören manchmal nichts, wenn der andere etwas sagt. Auch in der Partnerschaft lohnt es sich, zuerst Kontakt aufzunehmen und einen Moment zu warten, bis der Partner, die Partnerin reagiert, bevor wir anfangen zu reden, wenn wir gehört werden wollen.

Die Familienberaterin, Familylab-Seminarleiterin und Waldkindergärtnerin Maya Risch lebt mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in Zürich-Oerlikon. In einer Eltern- beziehungsweise Familienberatung oder in Gruppentreffen bietet sie mit «beziehungs8sam unterwegs» Eltern die Möglichkeit, zu erfahren, wie sie mit Unsicherheiten, Wut und Konflikten umgehen können und zeigt neue Perspektiven im Umgang mit Stolpersteinen im Familienalltag auf. Beratungen sind online oder in der Praxis möglich.

Online-Workshop «Mein Kind hört mir nicht zu! – Wege aus der Brüllfalle»  am Mittwoch, 31. Mai 2023, 20.15 – 22.15 Uhr via Zoom.