Als Tim Beach, ein elfjähriger Junge mit braunen Locken und grünen Augen, am Morgen des 23. Oktobers aufwachte, ahnte er noch nicht, was ihm an diesem Tag alles passieren würde. Er zog sich an, strich sich wie immer ein Brot mit Marmelade für die grosse Pause und holte dann seinen besten Freund Ben für die Schule ab. Als Erstes hatten sie heute Bio bei Mrs. Malvin, einer 63-jährigen, rundlichen und gutmütigen Frau mit Brille, dann Mathe bei Mr. Jonson, der immer eine Krawatte trug. Eine Legende besagte, dass er diese nicht einmal zum Duschen abnahm. Nach der Pause hatten sie dann noch eine Doppellektion Sport bei Mrs. Sun, von der sich keiner erklären konnte, wieso sie so hiess, da sie so streng war, wie es eigentlich kein Mensch sein sollte, und so laut schreien konnte wie ein Donner in einem Gewitter direkt über einem.

«Boah, die Sun war heute ja echt nicht bei bester Laune!», sagte Tim gerade, als er und Ben, der heute bei ihm zu Mittag essen und dann bis zum nächsten Morgen bleiben würde, bei ihnen zu Hause ankamen. Zum Mittagessen gab es Spaghetti mit selbst gemachter Tomatensauce (Tims und Bens Lieblingsessen). Nach der Mittagspause gingen Tim und Ben in den Wald und gingen den Weg entlang, während sie sich über Videospiele, Schule und vieles andere unterhielten. Sie merkten gar nicht, wie sie immer weiter in den Wald liefen, bis sie plötzlich vor einer grossen, feuerroten Tür mit goldener Klinke standen, auf die Dinge wie: «Achtung! Stopp! Nicht weitergehen! Monster! Gefährlich! Das ist dein Tod! Umkehren!» gekritzelt waren. Und als Krönung war über all das drüber eine riesige, hässliche Fratze gesprayt, deren Augen so feurig gemalt waren, dass man denken musste, dass sie brannten, wenn man nicht genau hinschaute. Das alles machte Tim und Ben natürlich neugierig. «Was da wohl drinnen ist?», überlegte Ben. «Das wüsste ich wirklich zu gern!», sagte Tim. «Ich will da rein!», sagten beide gleichzeitig. Dann gingen sie auf die Tür zu und griffen nach der Klinke. Sie drückten sie nach unten, zogen daran und…

… und sahen einen ganz normalen Raum. Enttäuscht sahen die beiden sich an. Sie hatten an ein Portal in eine fremde Welt gedacht. An Gold, einen Flaschengeist oder ein tolles Abenteuer, aber das? Nein! «Vielleicht ist das Gold ja versteckt und wir müssen es nur finden?», rätselte Tim und trat ein. Hinter ihm folgte Ben. Dann fingen sie an zu suchen. Unter dem Bett? Nichts! Unter dem Sofa? Nichts! Auf dem Tisch? Nichts! Im Schrank? Eine Flasche Orangensaft und zwei Becher. Noch enttäuschter als zuvor setzten sie sich an den Tisch, um wenigstens etwas vom Orangensaft zu haben. Als sie den ersten Schluck getrunken hatten, merkten sie sofort, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Das hier war auf gar keinen Fall Orangensaft! Und in ihren Mägen wurde es plötzlich heiss. Dann, im Bruchteil einer Sekunde, veränderte sich praktisch alles. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte und Ben und Tim fühlten sich so, wie man sich fühlen musste, wenn man gerade in der Mitte entzweigerissen wurde. Ein unerträglicher Schmerz, der die beiden umwarf und wegen dem ihnen kotzübel wurde, durchfuhr sie. Auf all das folgte eine gewaltige Explosion. Die Gegend schien in Stücke gerissen zu werden und dann wurde Ben und Tim schwarz vor Augen.

Tim wachte auf. Aber nicht etwa in seinem Bett, sondern auf einer riesigen Wiese. Neben ihm lag Ben. Tim schaute sich um und erst jetzt merkte er, dass plötzlich alles so riesig war. Die Grashalme waren mehr als einen Kopf grösser als er, die Bäume kamen ihm vor wie Wolkenkratzer und von den Ameisen, die plötzlich so gross waren wie Hunde, brauchte er gar nicht zu reden. Gerade wachte auch Ben auf und blickte sich erschrocken um. «Was ist denn hier los?!», fragte er. «Warum ist alles plötzlich so gross?» – «Keine Ahnung», sagte Tim. «Vielleicht haben wir ja doch noch das Portal in eine andere Welt ge…» Doch weiter kam er nicht, denn wie aus dem Nichts tauchte vor ihnen ein riesiges, schwarzes Monster mit scharfen Zähnen und Mundgeruch, der roch wie verdorbener Fisch, auf. «RENN!!!», schrie Ben, und genau das machte Tim auch. Er rannte voraus und hinter ihm sein bester Freund. Sie rannten und rannten, bis… sie vor Tims Haus standen! «Hä?», fragte Ben. Doch in diesem Moment ging Tim ein Licht auf. «Wir sind gar nicht in einer fremden Welt!», erklärte er. «Wir wurden nur geschrumpft und dann zu meinem Haus teleportiert! Uns kommt nur alles so gross vor, weil wir kleiner sind als sonst.» Für normale Kinder wäre das sicher ein Riesenschock gewesen. Aber sie hatten schon von so vielen Abenteuern gehört, dass sie nichts mehr aus der Fassung bringen konnte. «Und das Monster von vorhin war nur eine Katze, die uns für Mäuse hielt!» – «Okay, okay, okay! Das ist ja alles schön und gut. Aber die Katze von vorhin steht gerade hinter dir und versucht dich zu fressen!!!», sagte Ben. «Was?!» Und dann rannten sie wieder. Sie rannten bis zur Haustüre und konnten gerade noch durch ein Mausloch schlüpfen. Drinnen konnten sie dann nur kurz verschnaufen, bis sie einem riesigen Fuss ausweichen mussten. Und als sie nach oben schauten, sahen sie auch, wem der Fuss gehörte, nämlich Tims Papa. «Irgendwie wusste ich, dass so etwas eines Tages passieren würde», sagte Tim.

Dann liefen sie durch das Wohnzimmer und in ein weiteres Mausloch. Darin mussten sie klettern, um weiterzukommen. Als sie irgendwann am Ende dieser Kletterpartie angekommen waren, waren sie auf dem Dachboden. «Ich wette, um wieder gross zu werden, müssen wir noch mal in diese Tür und den Gegenzauber finden!», sagte Tim. «Aber wie kommen wir da hin?», überlegte Ben. Dieses Mal war er es, der eine Idee hatte. «Wir könnten aus dem Papier, das hier rumliegt, einen Papierflieger falten und damit zum Wald fliegen», schlug er vor. «Gute Idee!», sagte Tim, und so stand ihr Plan fest. Er war zwar ein bisschen verrückt, aber er würde sicher klappen. Und so kam es, dass sie nach ein bisschen Herumgefalte mit Hilfe einer langen Stange, die sie nur zu zweit tragen konnten, das Fenster öffneten und dann mit dem Flieger hinausflogen. Sie flogen wirklich und stürzten nicht ab. Sie flogen und flogen und flogen und flogen… direkt in einen Vogel hinein! Und so stürzten sie dann doch noch ab. Zum Glück hatten sie mittlerweile ungefähr dreiviertel ihres Weges hinter sich gelegt und landeten in den Baumwipfeln. Dort blieben sie dann aber auch hängen. «Ach neeeeeh!», ärgerte sich Tim.

«Alles lief so gut, bis dieser blöde Vogel kam, und jetzt hängen wir hier fest.» «Das ist so doof!!!», stimmte Ben ihm zu. Mühsam befreiten sie sich von den Ästen und kletterten dann den Baum herunter, auf dem sie gelandet waren. Dann liefen sie in die Richtung, in der die Tür war. Unterwegs wurden sie zweimal fast von einem Fuchs überrannt und wären einmal fast von einem aus einem Baum fallenden Ast zerquetscht worden. Aber sonst lief alles gut und sie kamen unbeschadet bei der Tür an. Doch ein Problem gab es noch. Die Tür war nämlich wieder zu und sie konnten sie bei ihrer Grösse auf gar keinen Fall öffnen.

«Ich habe eine Idee, aber es ist eine ziemlich bescheuerte», sagte Tim. «Sag schon!», sagte Ben. «Na gut», gab Tim nach. «Ich habe noch ein bisschen Schinken dabei. Damit könnten wir einen Bären anlocken, der dann gegen die Tür rennt und sie so öffnet.» – «Das ist zwar die dümmste Idee, die ich je gehört habe, aber wir haben wahrscheinlich keine andere Wahl», sagte Ben. Und so kam es, dass die beiden kurze Zeit später Schinkenröllchen schwenkend durch den Wald liefen und dann auch einen Bären fanden, der den Schinken wollte. Also rannten sie davon und zurück zur Tür. Der Bär raste ihnen hinterher und wollte den Schinken. Vor der Tür machten sie Halt und sprangen dann im letzten Moment zur Seite, sodass der Bär mit voller Wucht gegen die Tür knallte und sie dadurch öffnete. Dann warfen sie den Schinken so weit weg, wie sie nur konnten, und rannten durch die Tür.

Drinnen sah immer noch alles wie vorher aus. Und auch der vermeintliche Orangensaft, der ja in Wahrheit ein Schrumpf-trank war, stand noch auf dem Tisch. In der Wand war ein Mausloch.

Sie gingen hinein und kamen in einem Raum, der so gemacht war, dass er für Mäuse sein musste, heraus. In einem kleinen Schränklein an der Wand fanden sie Blaubeersaft. Das musste einfach der Vergrösserungstrank sein! Sie tranken davon und merkten es sofort. Wieder der heisse Magen, der ohrenbe-täubende Knall, der Schmerz, die Explosion und … Tim und Ben wachten auf. Und zwar auf der Wiese vor Tims Haus in Normalgrösse! Sie hatten es endlich geschafft! Schnell gingen sie nach drinnen, denn es wurde schon spät.

Drinnen erzählten sie alles Tims Eltern. Tims Mutter sagte nur: «Ach, die Kinder immer mit ihrer blühenden Fantasie!» Doch Tims Vater, der während der ganzen Erzählung immer bleicher geworden war, stammelte: «D… der Fluch … er wird … uns jetzt alle verfolgen! Sie hätten … die Tür … ihr hättet nicht durch die Tür gehen sollen! Ich habe diesen Fehler als Jugendlicher selbst begangen und Jahre mit den Folgen leben müssen. Was ihr heute erlebt habt, war nur der Anfang, das wird jetzt nie mehr enden!»

Er schnappte nach Luft und sackte bewusstlos in sich zusammen.