Möchtet ihr auch manchmal fliegen? Einfach abheben und los? Dieses Gefühl, das Gefühl der Freiheit! Die Schwerelosigkeit! Dieser Flow! Wie… Wart ihr schon mal auf dem 80m-Turm? Herrliches Gefühl, wenn man einfach so fällt, nicht? Eben. Nun, ich wünsche mir auch, dass ich fliegen könnte. Und – ich will ja nicht bluffen, weil Eigenlob stinkt ja bekanntlich – aber ich glaube, ich bin ziemlich mutig. Wieso? Weil ich meinem Traum nachgehe. Ich probiere immer wieder zu fliegen. Davon möchte ich euch erzählen.

Versuch 1: Schwimmbad Wolfensberg, 14. November 2013. Ich war 6 Jahre alt.
Mühsam kletterte ich den Stamm des Baumes empor. Ich umklammerte ihn mit Armen und Beinen. Schliesslich bekam ich die untersten Äste des Baumes zu fassen und zog mich daran hoch. Geschafft! «Mama! Papa! Schaut!», rief ich. Als meine Eltern sich umdrehten, stand ich auf dem Ast und zählte laut: «Eins, zwei, drei!» Bei drei sprang ich gerade nach oben. Doch leider flog ich nicht, sondern fiel wie ein Stein nach unten.
Ich kleiner Knirps war total überrascht und kniff die Augen zu, um den Aufprall nicht sehen zu müssen. Ich landete hart, fiel rückwärts und knallte mit dem Kopf gegen einen Baumstamm, was mir eine Hirnerschütterung brachte.

Versuch 2: Skillspark, Megatramp, 14. November 2014. Ich war 7 Jahre alt.
Nach 20 Minuten Anstehen war ich endlich an der Reihe. Ich sprang so schnell wie möglich auf das Trampolin. Es federte extrem gut. Ich sprang ein zweites Mal. Ich flog höher. Beim dritten Mal mindestens zwei Meter. Beim vierten Mal sicher drei Meter. Ich fühlte mich frei wie ein Vogel. «Der perfekte Moment», dachte ich.
Ich sprang ein bisschen nach vorne, streckte Arme und Beine aus und flog vorwärts. Doch dann ging es aus meiner Sicht viel zu schnell wieder runter. Aber nicht auf das Netz des Trampolins, sondern auf den harten Boden. Ich konnte meine Beine gerade noch anziehen, und landete auf den Füssen. Allerdings schlug dabei mein Knie gegen mein Kinn, was zwar besser war, als auf dem Bauch zu landen, aber trotzdem höllisch weh tat. Zudem schlug ich mir einen Zahn aus.»

Versuch 3: Hallenbad Geiselweid, Fünf-Meter-Sprungturm, 14. November 2015. Ich war 8 Jahre alt.
Ich erklomm die Leiter zum Fünf-Meter-Sprungturm. Oben stand ein Junge am Rand. Ich schätzte ihn 13 Jahre. Drei weitere Jungs, auch ungefähr 13, feuerten ihn an. Der Junge stand mit dem Rücken zum Wasser. Er ging in die Knie und sprang. In der Luft zog er sich zusammen und drehte sich. Einmal. Zweimal. Mit einem lauten «Platsch» landete er im Wasser. Die anderen sprangen ihm nach. Ich war zutiefst beeindruckt. Dann war ich an der Reihe.
Ich nahm Anlauf und sprang. Ich breitete die Arme und Beine aus, wie diese Spinner mit den Jumpsuits, die in YouTube-Videos Klippen runterspringen. Doch wie letztes und vorletztes Jahr raste ich dem Boden, beziehungsweise dem Wasser entgegen. Als ich mit einem Bauchklatscher im Wasser landete, verschlug es mir den Atem. Ich hatte Angst, zu ertrinken. Im Hundeschwumm paddelte ich keuchend zum Beckenrand. Mein Bauch war eine ganze Woche lang noch rot!»

Versuch 4: Schulhaus Schachen, Vordach, 14. November 2016. Ich war 9 Jahre alt.
Benjamin, mein bester Freund, hob den Daumen. Es war keine Pausenaufsicht in der Nähe. Ich kletterte das Regenrohr empor und zog mich aufs Vordach. Diesmal wollte ich die Schwerkraft endgültig überwinden. Zwar hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, doch eine innere Stimme sagte mir immer wieder: «Du schaffst das! Du schaffst das!» Ich rannte los. Mein Ziel war das Dach des Singsaals. Ich sprang. Ich flog. Ich landete.
Aber nicht auf dem Singsaal, sondern auf dem Boden. Ich schrie auf vor Schmerzen. Ich hielt mir das Bein. Benjamin rannte zu mir. «Alles in Ordnung?», fragte er besorgt. «Hol die Pausenaufsicht!», heulte ich. Er rannte los. Kurz darauf stellte sich heraus, dass ich mir ein Bein gebrochen hatte. NICHT NACHMACHEN!

Versuch 5: Schulhaus Schachen, Skatepark, 14. November 2014. Ich war 10 Jahre alt.
Die Schüler waren bereits versammelt, als ich mich vor der Schanze aufstellte. Ich hatte ihnen angekündet, dass sie den ersten fliegenden Menschen sehen werden! Ich atmete tief durch. Ich skatete los. Das Publikum feuerte mich an. Dann war die Rampe da. Ich sprang. Das Publikum hielt den Atem an. Ich hob ab. Ich flog. Die staunenden Zuschauer wurden immer kleiner. Ich sah das Schulhaus unter mir. Dann Winterthur. Die Schweiz. Ich flog immer höher und höher. Die Luft wurde dünner. So dünn, dass ich kaum noch atmen konnte. Dann kam die Atmosphäre. Sie zerriss mich. Ich bekam keine Luft mehr. Ich schrie. Als ich erwachte, wurde ich von weissen Wänden geblendet. Ein paar Sekunden später kapierte ich, wo ich war. Ich lag mit einem Schädelhirntrauma im Krankenhaus! Wahrscheinlich ist Scheitern beim Fliegen mein Schicksal. Kein Wunder bei meinem Namen.

Euer Ikarus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andrin, 5.Kl.