Ich beginne am besten einfach: Ich beobachte Sie jetzt schon so lange und bin zum Schluss gekommen, Ihnen diesen Brief zu schreiben.

Wissen Sie eigentlich, wie gut Sie es haben?
Jeden Tag schlendere ich durch die dreckigen, voller Spinnen und Staub bedeckten Gassen von Paris und versuche, etwas zu Essen zu finden. Manchmal hat der alte Hugo mit seinem lottrigen Restaurant noch ein paar Reste für mich übrig. Doch am Wochenende meistens hat seine alte Bude so viel Erfolg, dass nicht mal ein halb abgenagter Knochen für mich übrig bleibt…

Madam Macaron bleibt mit der Feder auf dem Papier stehen, so dass sich ein schwarzer Fleck bildet. Wie soll sie das erklären? Sie wischt sich über die Stirn, um ihre Schweissperlen aufzuhalten, die ihr die Schläfe hinunterrollen und hinterlässt somit einen Strich auf ihrer Schläfe.

… in diesem Fall muss ich im Mülleimer nachschauen und vielleicht ist Ihnen klar, wie unappetitlich das wird. Am Abend gehe ich dann zurück zu meinen Freunden. Sie sind alles, was ich habe. In einer unscheinbaren Ecke ist unser Zuhause. Mein Bett besteht aus einem Karton, in dem einmal ein Laptop eingepackt war. Ich habe den Karton neben der ‚Dans le Croissant Schule‘ gefunden. Dass die Leute das einfach wegwerfen! Für mich ist das viel Geld und die werfen diesen Karton einfach aus dem Fenster! Nicht zu denken, wenn ein streunender Hund den Karton für Nahrung gehalten hätte! Ich meine: Sehen Sie was ich daraus gemacht habe? Also …

Madam Macaron räuspert sich, als ob sie gerade wirklich mit jemandem spricht. Dabei kann sie sich wirklich nicht konzentrieren. «Bemüh dich», reisst sie sich selbst zur Vernunft, während sie mit ihrer verschmutzten Hand ihr Ohr packt. Dann streicht sie eine unnötige Zeile durch und schreibt weiter.

wenn ich dann abends noch lange mit meinen Freunden quatsche, fühlt es sich manchmal so an, als sitze ich gerade in einer warmen, gemütlichen Stube mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Erst wenn die Nacht kommt, werden wir zurück in die Realität gerufen, weil es bitterkalt wird. Ich kann dann meistens lange nicht schlafen. Ich denke immer nur daran: Wie es sein würde, wenn … . Und: Was passieren würde, wenn … Wenn ich dann das Geschnarche meiner Freunde und Familie höre, hilft das auch nicht um einzuschlafen. Es frustriert mich nur.

Und jetzt zu Ihnen:

Ich stelle mir Ihr Leben vor wie ein Paradies. Anstatt zu arbeiten, machen Sie Fotoshootings mit Ihrem Hund. Wie hiess der nochmals? Princess? Oder Crown? Naja egal. Für mich wäre das jedenfalls ein Traum! Am Wochenende liegen Sie dann gemütlich an Ihrem Pool und erfinden Ihre eigene Marke…

Madam Macarons Blick fliegt in Richtung Himmel. Sie beginnt zu träumen. Sie steht auf einer Bühne und ruft ins Publikum: „Das Macaroni, ein Parfüm mit sanftem Vanillieduft, der dich in eine andere Welt schafft!“ Das Publikum fällt in tobenden Beifall. Alle rufen Madam Macarons Namen. Madam Macarons‘ Blick fällt wieder auf das Blatt Papier, auf dem mit einer billigen Feder Wörter in einer eckigen Schrift gekritzelt stehen. Niemand würde denken, dass dies ein Brief ist, der sehr, sehr grosse Auswirkungen haben könnte.       

Vielleicht verstehen Sie mich nicht, aber ich würde so gerne in Ihrer reinen Haut stecken. Ich wäre so gerne ein Star.

Gezeichnet, Madam Macaron

Madam Macaron faltet den Zettel zusammen und steckt ihn in ein Couvert, das sie mal gefunden hatte. Dann versucht sie mühsam, eine Briefmarke mit der Kappelbrücke als Design von seiner Folie zu trennen und klebt sie direkt auf. Madam Macaron atmet kurz ganz tief ein und dann wieder aus, schliesst dann ihre Augen und wirft den Brief in den gelben Briefkasten, neben dem sie den Brief angefertigt hatte.

Sie dreht sich um und hofft, dass der Brief sein Ziel erreicht und grosse Auswirkungen auf eine bessere Zukunft haben wird.